Musikverein. Das Alban-Berg-Ensemble bemüht sich erfolgreich um die Eingliederung
avantgardistischer Musikversuche in den klassisch-romantischen Repertoirekanon.
VON WILHELM SINKOVICZ
In die dritte Saison geht das Alban-Berg-Ensemble Wien mit seinem Zyklus im Brahmssaal des
Musikvereins. Das um einige Musikerkollegen verstärkte Hugo-Wolf-Quartett absolviert unter
dem neuen Namen ein höchst attraktives Programm, das Klassiker mit experimentellen Stücken
der musikalischen Moderne mischt.
Das Vorbild dafür findet sich bei Arnold Schönberg und seinem vor ziemlich genau einem
Jahrhundert tätigen Verein für musikalische Privataufführungen – nur, dass heutzutage keine
Proteste mehr zu erwarten sind, wenn Avantgardistisches zu hören ist. Im Gegenteil.
Mittlerweile gibt es ein neugieriges Publikum, das auch den ungewöhnlichsten
Präsentationsformen gegenüber aufgeschlossen ist.
Also sind beim Berg-Ensemble, anders als seinerzeit unter Meister Arnold, auch der Applaus
und etwaige Missfallenskundgebungen nicht untersagt. Im Gegenteil: Anno 2019 werden nicht
nur Stücke von Mozart und Schubert, sondern auch ein Werk von George Crumb stürmisch
akklamiert.
Dabei hat „Vox Balaenae for Three Masked Players“ kaum etwas von seinem verblüffenden
Potenzial verloren. Zwar steht da eine vergleichsweise klassische Triobesetzung mit Flöte, Cello
und Klavier auf dem Podium, aber was die Musiker ihren Instrumenten entlocken, hat wenig mit
dem zu tun, was man normalerweise von ihnen zu hören bekommt.
Zwitschern in die Flöte „Vox Balaenae“, die Stimme des Walfischs, macht seinem Namen alle
Ehre. Silvia Careddu muss in ihre Flöte nicht nur blasen, sondern auch summen und
zwitschern. Sie hat zwischendurch auch Tempelglocken zu läuten und zu pfeifen, wie ihr Kollege
Florian Berner, der seinem Violoncello nur wenige geradlinige Streichertöne abverlangen darf,
sondern den Unterseegesang mittels Flageoletttönen und Glissandi nachzuahmen sucht.
Dazu traktiert Ariane Haering die Saiten ihres Konzertflügels mit Nägeln und Glasstäben, steckt
Papierstreifen und Metallgegenstände dazwischen und hat hier und da dann doch auch einen
Dur- oder Mollakkord zu hämmern, der an frühere Definitionen des Wortes Musik erinnert.
Das klingt alles recht abenteuerlich, aber es darf referiert werden, dass die Mitglieder des Berg-
Ensembles es geschafft haben, die sonderbare Aktion so abzuwickeln, dass im Saal mehrheitlich gespannte Stille herrschte.
Es handelt sich also offenbar doch um ein Kunstwerk – vielleicht ist gar nicht alles Scharlatanerie unter der Sonne der Altachtundsechzigerkunst? Umrahmend gab man das „Forellenquintett“ und eines der Flötenquartette Mozarts, in dem
Careddu vor allem in der zentralen Serenade, von den Streichern lautmalerisch zupfend begleitet, ihr arioses Talent bewies: Flötenspiel wie behutsamster Belcanto.